ISO 9001:2015 aus Sicht der Modell Aachen GmbH

Wer im Moment eine Menge Geld verdienen möchte, bietet Schulungen und Seminare zum Thema ISO 9001:2015 an. Kaum ein Thema im Qualitätsmanagement hatte in den vergangenen Jahren eine derartige Zugkraft. Dabei wird eine Menge Angst geschürt, um Zuhörer zu mobilisieren. „Neue Anforderungen führen zu großem Aufwand und können den Verlust des Zertifikates bewirken“, so die Kernaussage derjenigen, die Seminare und Beratung anbieten. Ganz anders klingt das aus dem Mund der Autoren der ISO 9001:2015: „Im Großen und Ganzen soll die ISO 9001 bleiben, wie sie ist. Kleinere Anpassungen sollen die Norm zeitgemäßer und unternehmerischer werden lassen.“

Nur zwei größere Änderungen

Was stimmt nun und was bedeutet das für Sie aus Sicht der Modell Aachen GmbH? In erster Linie schafft die neue Normrevision deutlich mehr Freiräume in der Gestaltung des Managementsystems. Aus unserer Sicht gibt es zwei Änderungen der Anforderungen, die eine spürbare Auswirkung auf die Unternehmen haben:
1.    Risiken sollen der Organisation bekannt sein und angemessen gesteuert werden
2.    Die Organisation soll eine geeignete Form des Wissensmanagements betreiben

 

Die erste neue Anforderung bereitet einigen Unternehmen Kopfzerbrechen. Dabei ist keinesfalls ein umfängliches Risikomanagement nach ISO 31000 gefordert. Es geht darum, dass jedes Unternehmen seine qualitäts- und unternehmenskritischen Risiken kennt und bei Bedarf steuernde Maßnahmen definiert. Dies kann sehr einfach im Q.wiki abgebildet und umgesetzt werden. Wir unterscheiden dabei zwischen Unternehmensrisiken und Prozessrisiken. Jeder Mitarbeiter kann ein erkanntes Risiko (z. B. durch das Auftreten eines Fehlers) über die Risiko-Applikation vorschlagen. Dort wird es vom Risikomanager (bei kleineren Unternehmen: der Geschäftsführung) als relevantes Risiko bestätigt. Im Anschluss werden alle relevanten Risiken in Regelterminen mit den Führungskräften bewertet und ggf. mit Maßnahmen belegt und verfolgt. Die Bewertung orientiert sich dabei an der Logik der FMEA (Fehlermöglichkeits- und –einflussanalyse). Der Aufwand hierfür liegt bei wenigen Personentagen pro Jahr und macht unternehmerisch absolut Sinn.


Die zweite Anforderung greift den Gedanken des prozessorientierten Wissensmanagements auf, für den die Modell Aachen GmbH seit ihrer Gründung im Jahr 2009 steht. Deshalb empfehlen wir auch weiterhin das Unternehmenswissen in der Struktur der Geschäftsprozesse abzulegen und damit die Prozessdokumentation um alltagsrelevantes Wissen anzureichern. Regelmäßige Schulung der Prozesse stellt dabei eine hochwertige Ausführung der Prozesse sicher. Wir empfehlen diese Kurzschulungen der Mitarbeiter im Rahmen von Regelkommunikationen durchzuführen und keine aufwändigen Schulungen zu organisieren. Ein zweiter Aspekt des Wissensmanagements umfasst die Analyse, welche Fähigkeiten für die Ausübung der jeweiligen Rollen im Unternehmen - über das reine Prozesswissen hinaus - erforderlich sind. Diese Information wird im Q.wiki über die Rollenbeschreibungen gepflegt. Der Abgleich zwischen Soll und Ist kann beispielsweise im Rahmen von Mitarbeitergesprächen stattfinden. Das Ergebnis zeigt den Schulungsbedarf der einzelnen Person.

Bereits etablierte Vorgehensweisen nun als Normforderung

Einige Veränderungen der Norm sind nicht grundsätzlich neu im QM und haben daher nur Auswirkungen auf Unternehmen, die der Entwicklung des Qualitätsmanagements in den letzten Jahren nicht gefolgt sind:
1.    Forderung nach Prozessorientierung mit Input/Output, Kennzahlen und Verantwortlichkeiten
2.    Verantwortungsübernahme für Qualität und Prozesse durch die Führungskräfte selbst
3.    Betrachtung des After-Sales-Geschäftes


Die erste Forderung existiert seit Qualitätsmanagement prozessorientiert verstanden wird – also seit den 90er Jahren. Die Forderung ist damit nicht neu, wurde in der Vergangenheit jedoch nur lasch auditiert. Zentral ist aus unserer Sicht die Modellierung der Kernprozesse als durchgängige Prozesskette - von der Aufnahme der Kundenanforderung bis hin zur Lieferung des Produktes/ der Leistung an den Kunden bzw. auch darüber hinaus. Im Zuge dieser Kernprozesskette ist auch die Abbildung von Informationsflüssen (Input/Output) von besonderer Bedeutung. Die Güte dieser Informationsflüsse bestimmt, wie fehlerfrei die Kundenanforderungen in Leistungen übersetzt werden und damit wie hoch die Qualität der Leistung vom Kunden bewertet wird. Die Definition von Inputs und Outputs ist dort von besonderer Bedeutung, wo Leistung von einer Rolle zur anderen übergeben wird – also an den Schnittstellen.


Außerdem fordert die ISO 9001:2015, dass die Prozesse mittels Leistungsindikatoren gesteuert werden. Auch wenn es in vielen Seminaren aktuell anders gelehrt wird, bedeutet das nicht, dass jeder Prozess im Unternehmen durch mindestens eine Kennzahl gesteuert werden muss. Es liegt beim Unternehmen zu definieren, welche Prozesse sinnvoll mittels Kennzahlen gesteuert werden und bei welchen der subjektive Eindruck der Prozessleistung ausreicht. Die Modell Aachen GmbH empfiehlt eine engpassbasierte Definition von Kennzahlen (vgl. Theory of Constraints). Das bedeutet, dass mittels eines gewichteten Ursache-Wirkungs-Diagramms identifiziert wird, welche Faktoren die Erreichung der Unternehmens- und Qualitätsziele am meisten behindern. Für diese Faktoren werden Kennzahlen definiert und im Zuge der weiteren Unternehmensentwicklung mit Maßnahmen belegt und verfolgt.


Die zweite der aufgeführten Veränderungen betont, dass Prozessen eine klare Verantwortung zugewiesen werden soll. Diese Verantwortung umfasst dabei die Verantwortung für die Organisation und die Leistung von Prozessen als auch für dessen Dokumentation (Kommunikation) und Verbesserung. Auch diese Veränderung ist nicht neu, sondern lediglich eine Betonung bestehender Anforderungen.


Die dritte Veränderung betrifft den Betrachtungshorizont des Managementsystems. Das dieser nicht am Werktor endet, sondern der gesamte Produktlebenszyklus für Hersteller und Kunde von Bedeutung ist, ist strenggenommen selbstverständlich.

Weitere Änderungen ohne größere Relevanz für das Alltagsgeschäft

Völlig irrelevant für Ihren Alltag sind aus unserer Sicht folgende, viel diskutierte Punkte:
1.    Die Forderung nach einem QMB (Qualitätsmanagementbeauftragten) entfällt
2.    Die ISO 9001 erhält eine neue Struktur
3.    Die Forderung nach einem QM-Handbuch entfällt

 

Dass die neue Normrevision keinen QMB mehr fordert, ist absolut sinnvoll und konsequent. Der QMB war zu keinem Zeitpunkt in der Lage, alleine Qualität in einem Unternehmen sicherzustellen. Er war schon immer darauf angewiesen, dass alle Führungskräfte und Mitarbeiter das Thema Qualität als eigene Aufgabe verstehen. Zumal Qualität keine Leistung an sich ist, sondern ein Merkmal einer Leistung. Dennoch macht es Sinn, Qualitätsmanager im Unternehmen zu beschäftigen. Ihre Aufgabe ist jedoch nicht Qualität sicherzustellen, sondern Menschen zu befähigen Leistung mit hoher Qualität und Effizienz zu liefern. Qualitätsmanager sind somit nach unserem Verständnis Organisationsentwickler oder Inhouse-Consultants. Für einen modern interpretierten Qualitätsmanager ändert sich an seiner Rolle durch die neue Normrevision daher nichts.


Dass die neue Normrevision einer neuen Struktur unterliegt (High Level Structure), ist für die praktische Umsetzung aus unserer Sicht irrelevant. Es ist schon einige Jahrzehnte her, dass eine Managementsystem-Dokumentation in der Struktur der Norm aufgebaut wurde. Moderne Managementsystem-Dokumentationen sind prozessorientiert auf die Mitarbeiter ausgerichtet und in ihrer Alltags-Sprache verfasst. Im Idealfall sind sie kochrezeptartig formuliert, so dass alle Abläufe Schritt für Schritt ausgeführt werden können. Im Hintergrund findet, z. B. über Metadaten, eine Zuordnung zu den Normforderungen statt. Dabei ist die Struktur der Normforderungen völlig irrelevant.


Die neue Normrevision fordert kein QM-Handbuch mehr. Der Begriff führte in den letzten Jahren ohnehin zu Verwirrung. So verstehen viele umgangssprachlich unter QM-Handbuch die gesamte Managementsystem-Dokumentation. Andere verstehen darunter lediglich ein kleines Dokument, das im Wesentlichen ein Statement der Führung, die Systemgrenze und einen Verweis auf die Prozessdokumentation beinhaltet. Wiederum andere verstehen unter einem QM-Handbuch die Zuordnung der Managementsystem-Dokumentation zu Normforderungen. Auch wenn das QM-Handbuch als solches nicht mehr gefordert wird, macht eine angemessene Dokumentation des Managementsystems jedoch auch weiterhin absolut Sinn. Ob diese unternehmensintern QM-Handbuch, Prozessportal, Organisationshandbuch oder tatsächlich Managementsystem-Dokumentation genannt wird, ist wiederum völlig irrelevant. 

Besser noch mit der Zertifizierung abwarten

Viele Unternehmen stehen nun vor der Frage, wie zeitnah sie von der neuen Normrevision betroffen sein werden. Die Übergangszeit beginnt im Oktober 2015 und endet im Oktober 2018. Wir empfehlen den Unternehmen sich nicht in den ersten Monaten nach der neuen Normrevision zertifizieren zu lassen, da sich der Auditprozess in den nächsten Monaten erst noch einschleifen wird. Warten Sie ein wenig ab und beobachten Sie die Interpretation der neuen Normrevision in der QM-Community. Auch wenn durch eine einmalige Verkürzung des Auditzyklus von drei auf z. B. zwei Jahre die Kosten für die Auditierung zunehmen, gehen wir davon aus, dass die zusätzliche Klarheit, wie die Norm interpretiert wird, deutlich Kosten spart. Daher sollten Sie sich aktuell nicht unter Druck setzen lassen.

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