Tipps zur Prozessdokumentation: Verschiedene Prozessarten unterschiedlich dokumentieren?

Sven Schneider

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Sven Schneider

Veröffentlicht am

11.10.2022

Tipps zur Prozessdokumentation: Verschiedene Prozessarten unterschiedlich dokumentieren?
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Fragt man Managementsystemmoderatoren oder QMBs danach, was ihnen bei der Prozessdokumentation wichtig ist, fällt schnell das Wort „Einheitlichkeit“. Die Einheitlichkeit der Prozessdokumentation soll eine hohe Vergleichbarkeit der Prozesse untereinander gewährleisten und ein schnelles Zurechtfinden ermöglichen. Diese Forderung nach Einheitlichkeit trifft bei Prozessverantwortlichen häufig auf initialen Widerstand. Man könne die Prozesse nicht alle „über einen Kamm scheren“ - die Besonderheiten der Prozesse stehen im gedanklichen Mittelpunkt. Man hört häufig: „Der Prozess läuft ja ganz anders, den kann man nicht gleich beschreiben.“

Wer hat Recht?

Zunächst ist festzuhalten, dass Prozesse in Unternehmen verschieden sind. „Not all processes are created equal“ – und das ist gut so. Prozesse erfüllen unterschiedliche Zwecke, sie werden unterschiedlich häufig umgesetzt, von unterschiedlichen Personen ausgeführt, haben unterschiedliche Anforderungen und verfolgen unterschiedliche Entwicklungsziele.

Folgt man Prof. Dr. Jan vom Brocke kann man Prozesse hinsichtlich ihrer Frequenz und ihrer Variabilität unterscheiden. Die Frequenz beschreibt die Häufigkeit, in der ein Prozess durchgeführt wird: Manche Prozesse werden mehrmals stündlich durchgeführt, andere in unregelmäßigen Monatsabständen. Die Variabilität beschreibt den Grad, in dem ein Prozess anpassungsfähig ist oder sein sollte. Manche Prozesse weisen von Mal zu Mal eine sehr gleiche Prozessdurchführung auf, manche werden jedes Mal anders praktiziert. Hier spricht man auch häufig von der Prozessvarianz.

Betrachtet man die zwei Merkmale Frequenz und Variabilität als Achsen einer 2x2 Matrix, ergeben sich vier Quadranten, denen sich jeweils eine spezifische Prozessart zuordnen lässt.

Prof. Dr. Jan vom Brocke benennt und charakterisiert die Quadranten/Prozessarten wie folgt:

>> Reliabilität: Prozesse, die selten (= niedrige Frequenz) stattfinden und die auf eine sehr ähnliche Weise (= geringe Variabilität) umgesetzt werden.

Beispiel: Die Erstellung eines Jahresabschlusses findet nur einmal im Jahr statt und erfordert eine sehr zuverlässige, standardisierte Bearbeitung. Das Vorgehen beim Erstellen des Jahresabschlusses des einen Jahres unterscheidet sich kaum bis gar nicht vom Vorgehen beim Erstellen des Jahresabschlusses des Folgejahres.

>> Performance: Prozesse, die sehr häufig (= hohe Frequenz) stattfinden und die auf eine sehr ähnliche/gleiche Weise (= geringe Variabilität) umgesetzt werden.

Beispiel: Die serienmäßige Produktionsschritte von Automobilen findet hunderte Mal am Tag statt und erfordert dabei die exakt gleiche Bearbeitung aller Einzelfälle.  

>>Innovation: Prozesse, die selten (= niedrige Frequenz) stattfinden und die auf sehr unterschiedliche Weise (= hohe Variabilität) umgesetzt werden.

Beispiel: Forschungsprozesse finden selten statt. Sie erfordern im Einzelfall aber eine sehr passgenaue, variable Bearbeitung.

>> Agilität: Prozesse, die sehr häufig (= hohe Frequenz) stattfinden und die auf sehr unterschiedliche Weise (= hohe Variabilität) umgesetzt werden.

Beispiel: Die Bearbeitung von Serviceanfragen findet sehr häufig statt und erfordert von Fall zu Fall oft einen individuellen Umgang, da Anfragen auf verschiedenen Kanälen eingehen und unterschiedlichste Lösungen benötigt werden.

Sollte man Prozesse trotzdem alle gleich dokumentieren?

Vor dem Hintergrund der vier verschiedenen Prozessarten stellt sich die Frage danach, wie man unterschiedliche Prozesse dokumentieren sollte. Sollte man sie trotz der Unterschiede hinsichtlich ihrer Frequenz und Variabilität gleich dokumentieren, wenn man ein Interaktives Managementsystem anstrebt?

Unsere Antwort lautet: ja. Es empfiehlt sich, humanzentrierte Prozessdokumentationen – also Prozessdokumentation von und für den Menschen – an der gleichen Stelle und in grundsätzlich dem gleichen Format auffindbar zu machen. Die Einheitlichkeit in der Prozessdokumentation hilft Konsumenten, sich zügig zurecht zu finden. Sie finden schneller zu gesuchten Informationen, können diese ohne wiederkehrende Hürden konsumieren und einfach weiterverarbeiten. Eine grundsätzliche Einheitlichkeit senkt auch die Berührungsängste Prozessdokumentationen zu erstellen oder mit eigenem Wissen anzureichern, weil man sein Wissen durch ein einheitliches Zielbild für Prozessdokumentationen einfacher systematisch einbringen kann. Sie müssen sich weniger Gedanken über die passende Art der Dokumentation machen und der Inhalt rückt in den Vordergrund. Einheitlich dokumentierte Prozesse geben Nutzern einfache Orientierung, ermöglichen effizientes Arbeiten und steigern somit meist indirekt die Interaktivität des Managementsystems.  

Wie kann die Prozessdokumentation trotzdem den Anforderungen der verschiedenen Prozessarten gerecht werden?

Neben der grundsätzlichen Einheitlichkeit, zum Beispiel durch tabellarische Notation, der Prozessdokumentation kann die Unterscheidung der vier Prozessarten dabei helfen zu entscheiden, welche Art von Informationen dokumentiert wird und wie kleinteilig die Prozessbeschreibung aussehen sollte.

Aufgrund ihrer geringen Frequenz bergen Reliabilitäts-Prozesse ein erhöhtes Risiko dafür, dass Expertenwissen von Prozessdurchführung zu Prozessdurchführung beispielsweise durch Mitarbeiterfluktuation verloren geht. Daher sollte man intensiv darauf achten, dass Existenz und Ort der Prozessdokumentationen den Prozessbeteiligten bekannt sind. In der Praxis empfiehlt es sich, die Prozessdokumentation beispielsweise durch Mikro-Prozessaudits mit den Erfahrungswerten der letzten drei bis fünf Durchführungen zu ergänzen – so geht wichtiges (Erfahrungs-)Wissen nicht verloren und man erlangt Prozesssicherheit.  

Performance-Prozesse zeichnen sich durch einen (hoffentlich) hohen Automatisierungsgrad aus. Aufgrund der hohen Frequenz sollte man einen besonders geringen Verschwendungsgrad des Prozesses anstreben. Das bedeutet, dass insbesondere Prozessänderungen und Prozessrollen klar definiert und möglichst exakt durchdacht und dokumentiert werden sollten. Andernfalls riskiert man eine Vielzahl fehlerhafter Prozessdurchführungen. Typischerweise lohnt es sich bei noch nicht voll automatisierten Performance-Prozessen auch datenbasierte Analysetechniken wie Process Mining einzusetzen. Dadurch lässt sich weiteres Standardisierungspotenzial identifizieren.

Innovations-Prozesse werden selten durchgeführt und sind sehr variabel. Daher ist es wichtig, diesen im Rahmen der Prozessdokumentation eine Grundstruktur zu geben, ohne die Prozessdurchführung vorab einzuengen. In der Prozessdokumentation sollten daher Grundstandards definiert werden. In der Praxis lassen sich Innovations-Prozesse häufig in mehrere Phasen einteilen, an deren Ende eine bestimmte Entscheidung oder ein bestimmtes Ergebnis erreicht sein muss. Aus der Prozessbeschreibung sollte daher deutlich hervorgehen, ob ein Prozessschritt zwingend erforderlich oder optional ist. Alle Details von Prozessschritten lassen sich für Innovationsprozesse vorab teils schwer definieren. Innovations-Prozesse lassen sich häufig gut als Checklisten digitalisieren, in denen standardisierte Prozessschritte vorgeschlagen werden. Dadurch profitiert man sowohl von Erfahrungen vergangener Prozessdurchführungen und ermöglicht weiterhin die flexible Umsetzung der in diesem Fall notwendigen Prozessschritte.  

Über Agilitäts-Prozesse wird häufig geflucht, denn sie treten häufig auf und das jedes Mal anders. Der erste, häufig berechtigte Impuls ist, sie durch Standardisierung zu Performance-Prozessen zu entwickeln. Da sich diese Standardisierung nicht immer zielführend umsetzen lässt, ist es wichtig, dass Prozessbeteiligte schnell dazu befähigt werden, konkrete und wirksame Entscheidungen zu treffen. Aus der Prozessdokumentation sollte daher klar hervorgehen, welche Mindestanforderungen der Prozess mit sich bringt. Die Variabilität des Prozesses kann durch Aufzeigen von Handlungsoptionen beherrschbar gemacht werden. Dies steht im Gegensatz zur Dokumentation von Reliabilitäts-Prozessen, die stets eindeutige Prozessvorgaben beinhaltet.

Fazit

Prozesse sollten so einheitlich wie möglich, gleichzeitig jedoch so individuell wie nutzstiftend dokumentiert werden: Die Prozessdokumentation muss der Prozessart dienen. Die Unterscheidung der vier Prozessarten Reliabilitäts-, Performance-, Innovations- und Agilitätsprozesse hilft dabei, eine zum Prozess passende Prozessdokumentation zu erstellen. Dies kann den Mehrwert des Managementsystems für die Prozessbeteiligten entscheidend erhöhen.

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